„Wir müssen zurück zur sozialen Marktwirtschaft“ |
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Warum die Südwestsachsen demonstrieren
„Wir müssen zurück zur sozialen Marktwirtschaft“
von Frank Blenz - 22.06.2010
Am Dienstag stieg die größte Demonstration der Region Vogtland (Südwestsachsen) seit Jahren: Ungefähr 5000-7000 Menschen gingen auf die Straße für „Arbeit, Leben und Zukunft“. Betroffene Firmen und Belegschaften, allen voran die von Narva-Philipps, dem bekannten Lampenhersteller, fordern einen Wandel in Politik und unternehmerischem Handeln.
Gerade sind, so schätzen die Gewerkschaften, an die 2000 Industriearbeitsplätze in Gefahr. „Nicht etwa, weil die nicht rentabel Werte schaffen, nein, durch Produktionsverlagerungen kann noch mehr Profit gescheffelt werden“ sagt Stefan Kademann von der IG Metall Südwestsachsen erbost. Stefan Kademann ist ein Kämpfertyp. Typ freundlich bestimmter, verlässlicher Nachbar, der weiß, was er will und dem Ungerechtigkeiten auf den Zeiger gehen. Er ist Gewerkschafter, die Grundeigenschaften seiner Persönlichkeit passen also.
Von wegen „Eigentum verpflichtet“, murmelt er einen wichtigen Satz im Grundgesetz aus, der bedeuten soll, dass geschaffene Werte der Allgemeinheit zugute kommen sollen. Kademann zählt Firmen der Region auf, wie andere Wurstsorten: Berentzen, Enka, Narva, Plauener Gardine, Kabelwerk, Stahlbau, Wema, Unternehmen im vogtländischen Musikwinkel, Spinnhütte, Spitze. „Made in Germany“ hat einen guten Klang. Warum dann abbauen, fragt er erneut. Weil die den Hals nicht voll genug kriegen können, die Vereinbarungen zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmer scheinen aufgekündigt, man versuche es schon seit den 1990ern mit Turbokapitalismus, antwortet Kademann selbst. "Taschenrechner raus und kürzen, streichen, sparen. Auf der anderen Seite wachsen die Zahlen: Rendite, Erlöse, Vermögen. Wir müssen aber zurück zur sozialen Marktwirtschaft, sonst kracht es irgendwann mal gewaltig! “, sagt er, seine Miene verdunkelt sich.
Wo kein Kläger, hört auch kein Richter zu
Auch die kleinen Unternehmer der Region bekleckern sich nicht gerade mit Ruhm, was die Arbeitsbedingungen ihrer Mitarbeiter angeht: Minijobs, stagnierende Löhne meist weit unter Tarif sind die Regel. So komme es schon vor, dass Verkäufer mit drei Euro fünfzig heimgeschickt werden. Doch wo kein Kläger ist, da hört auch kein Richter zu. Die Leute sind meist nicht organisiert, "Betriebsrat" ist für sie ein Fremdwort, die Leute mucken nicht auf, die sind froh, einen Job zu haben, nicht als HartzIVler stigmatisiert zu werden. „Wir haben gerade Kämpfe mit einer Firma auszufechten, die einen Anwalt aus Düsseldorf engagiert hat, der damit wirbt, Unkündbare zu kündigen“, erzählt Kademann. Der Gewerkschafter meint damit, dass der Chef dieser Firma tatsächlich den Betriebsrat rausschmeißen will.
Die Arbeitnehmer, die einen Job hier in der Region haben, sind froh daheim bleiben zu können. Denn das bedeutet Gegenwart und Zukunft direkt für die Region. Die Lage ist indes nicht rosig. Immerhin 30.000 Südwestsachsen, genauer Vogtländer, pendeln gen Westen, gen Bayern. Das sind soviel wie die TSG Hoffenheim Fans zum Bundesliga-Heimspiel empfängt. Diese reisenden Menschen drücken die aktuelle Arbeitslosenstatistik, die macht gerade elf Prozent aus. Politiker und Statistiker freuen sich, Papier ist geduldig und erzählt nichts über die Menschen dahinter.
Erst auspressen wie Zitronen...
Die Arbeitnehmer sind auspressbar und dies sogar freiwillig wie eine Zitrone, aber wenn nur noch die Schale da ist, geht es nicht mehr weiter, könnte man eine Metapher der Zustände beschreiben. „Lohnverzicht, Kurzarbeit, Urlaubsverzicht, freiwillige unbezahlte Überstunden – alles für das Unternehmen – die Unternehmer, man schaue sich nur Philipps an, konnten sich auf ihre Leute stets verlassen. Sie haben das gewusst, dass sie am längeren Hebel sitzen“, ist Kademann wütend. Nach der Ernte wollen die nun woanders Felder abgrasen.
Kademann schaut aus dem Fenster. Gerade weht ein heftiger Wind bei prallem Sonnenschein. Ja es brennt die Luft. So gehe es nicht weiter. Man müsse sich über die gerechte Verteilung von Arbeit unterhalten, man müsse die Arbeitslosen ins Boot nehmen, weil sie gar keine Lobby hätten, und die, die Arbeit haben, nicht rausschmeißen. 35 Stundenwoche, Arbeitsplätze im öffentlichen Sektor schaffen, weg mit den ganzen Befristungen, die Leute bräuchten Perspektive, sie hätten das verdient.
Wir könnten uns auch nicht kaputt sparen. Kademann meint damit, dass man gut wirtschaftet, aber nicht spart auf Kosten derer, die den Gürtel nicht noch enger schnallen können. "Kindergeld weg bei Armen – eine Schande.“ Der Gewerkschafter spannt mit innigen Worten einen weiten Bogen von der Provinz bis in die hohe Politik. „Merkel muss weg“ müsse ein Slogan lauten, die da oben verrieten die kleinen Leute. Und für Sachsen fordert er, man glaubt sich zu verhören: "Wir wollen König Kurt wiederhaben." Er begründet das: „Biedenkopf hat noch ordentlich und landesväterlich Strukturpolitik gemacht – zum Nutzen auch des kleinen Mannes.“ Jetzt regierten nur noch die „Kräfte des Marktes“.
..dann ab nach Polen
„Jeder Arbeitsplatz hat ein Gesicht“, steht mit vielen Fotos illustriert am Werktor der supermodernen Lampenfabrik Philipps. Klar, sie verdienten hier so um die 2000 Euro. In Polen, wo die Firmenbosse längst schon die Produktion planen, nähmen die Leute 400 mit heim. „Diese Differenz wollen sie einstreichen, jetzt, so lange sich in Polen die Löhne noch nicht an europäisches Niveau angleichen.“ Von wegen Kosten sparen. Falsch. Gewinne steigern. Richtige Antwort.
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Günter
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